Doch nicht nur der wunderschöne Thoravorhang ist sehenswert, auch die jüngst aufgearbeiteten Familiengeschichten der jüdischen Sprendlinger, des Viehhändlers Daniel Hess, des Schuhmachers Gustav Strauss, des Versicherungsagenten und Kaufmanns Emanuel Pappenheimer und des Textilhändlers Erwin Bendheim ist mit alten Fotografien und besonderen Dokumenten ausgestellt. „Es ist ein Schatz, den Wilhelm Schäfer bei Umsetzungsarbeiten in unserem Stadtarchiv entdeckt hat“, bedankt sich Stadtarchivar Reinhard Pitterling bei der Eröffnung bei seinem ehrenamtlichen Mitarbeiter. Die Dokumente beweisen, wie sehr die jüdische Bevölkerung unter den Repressalien der Nazis litten und wie schonungslos sie enteignet wurden.
Ganz spannend: zur Ausstellungseröffnung war auch Dr. Dieter Wolf angereist, der Enkel von Martha Strauss. Sie war die Schwester von Gustav, jenem Schuhmachermeister, der bis zuletzt dafür verantwortlich war, dass die Sprendlinger Synagoge geheizt war und der auch den jetzt ausgestellten Thoraschrein-Vorhang bei sich zu Hause sicherte. Während Martha überlebte, „und bis zu ihrem Tod 1966 von Sprendlingen und der Sprendlinger Kerb schwärmte“, wie Dieter Wolf berichtet, brachten die Nazis Gustav Strauss 1942 gemeinsam mit seiner Familie in einem KZ um.
Bevor Bürgermeister Martin Burlon und Stadtverordnetenvorsteherin Bettina Schmitt die Ausstellung im Rathaus eröffneten, gedachten sie den Sprendlinger Juden, die den Holocaust nicht überlebten auf dem Jüdischen Friedhof in Sprendlingen. Schmitt erinnert daran, dass dieser 10.November 1938 der entscheidende Wendepunkt in der Verfolgung der Juden war. „Erinnern wir uns daran, wie alles angefangen hat. Im Nationalsozialismus wurde ein zuvor strafbares Verhalten plötzlich geduldet. So war der Boden bereitet, dass gehegte Vorurteile ungestraft ausgesprochen und dann in offene Gewalt umschlagen konnte“, sagt Schmitt. Es sei die Aufgabe eines jeden Einzelnen, dass so etwas nie mehr geschehe und die Demokratie in unserem Land geschützt wird.
Wie dringend dieser Apell notwendig ist, zeigt ein Polizeiauto vor den Toren des jüdischen Friedhofs. „Präventiver Objektschutz“, sagt der junge Beamte auf Nachfrage. Ein blödes Gefühl, dass dies offensichtlich nach dem Attentat von Halle notwendig ist. Martin Burlon wertet es als ein wichtiges Zeichen, dass so viele Menschen wie schon lange nicht mehr bei der Kranzniederlegung dabei waren und sich anschließend für die Ausstellung im Rathaus interessieren: „Wir zeigen, dass wir nicht vergessen, was damals auch hier in Sprendlingen passierte. Und ich wäre froh, wenn es diese Vorsichtsmaßnahme unserer Sicherheitsbehörden nicht bräuchte.“