Ich muss auch aus meiner Sicht das Rathausglockenspiel beleuchten. Seit Frühjahr 2021 erklang es nicht mehr. Die Erklärung schien einfach: Der Turm wird renoviert, neu gestrichen, alte Leitungen, die die Übertragung des Glockenspiels zu den Lautsprechern weitertransportieren, werden ersetzt, bald werden wieder die altbekannten Melodien erklingen. So hat es sich die Seligenstädter Bevölkerung erklärt.
Dann im Dezember die Schocknachricht aus dem Rathaus. Das bis dahin nahezu wartungsfreie alte Meisterwerk des Seligenstädter Uhrmachermeisters Albert Burghardt sei nicht mehr einsatzfähig – Ersatzteile seien nicht mehr zu bekommen, eine Reparatur sei unmöglich. Auf Nachfragen besorgter Bürger hieß es sogar, es bestünde bei Wiederinbetriebnahme akute Brandgefahr durch sich überhitzende Trafos.
Die Spieluhr sollte also nach Belgien geschickt werden, wo eine „Spezialfirma“ die Melodiewalzen digitalisiert. Nichts mehr, was sich dreht, kein Hämmerchen, keine Metallplättchen, die angezupft werden, kein Zahnrad. Ein Mikrochip ersetzt in Zukunft alte Handwerkskunst – Disneyland auch bei uns?
Vor wenigen Wochen die Rolle rückwärts: Der Bürgermeister vermeldete stolz, es habe sich alles zum Guten gewendet. Ulrich Burghardt, Sohn des erwähnten Uhrmachermeisters, hörte vom drohenden Ende des in den 50-er Jahren gebauten Kunstwerks und nahm sich alsbald dessen an. Er zerlegte und reinigte die Mechanik, gab zwei Tröpfchen Öl dran und beschaffte einen neuen Trafo. Und siehe da: Die Maschine rattert wieder!
Zu den vollen Stunden hören wir die bekannten Melodien sowie den Westminsterschlag. Oder zum Advent besinnliche Weihnachtslieder. Wie schön und wertvoll.
So einfach ist es manchmal. Man muss nicht immer alles entsorgen oder ins Museum stellen. Früher wurden Dinge so gebaut, dass sie lange halten. Sonst gäbe es unser Städtchen mit all seinen wunderbaren Bauwerken, seiner 1200 Jahre alten Basilika, seinem Charme und den krummen Ecken schon lange nicht mehr.
Das ist gerade noch mal gut gegangen.
Herzlichst
Euer Turmmännche