Jedermänner der TGO gewinnen Fanfest von Lidl / 100 Gäste Obertshausen ist nicht Oberhausen

Alles im grünen Bereich: Jubel auf der LED-Wand, Jubel vor dem Vereinsheim. Die TG Obertshausen feiert den zweiten Treffer der deutschen Nationalmannschaft. Das Lidl-Fanfest erinnert auch an eine große Gartenparty. Bild: gerth

Obertshausen – Fast auf den Tag vor siebzig Jahren drängelte sich Wilfried Nowotnik vor dem Schaufenster eines Elektronikgeschäftes in Berlin. In einer Seitenstraße der Osloer Straße versuchte der zehn Jahre alte Junge einen Blick auf das Fernsehgerät zu erhaschen – wie damals Millionen Deutsche.

So lief Public Viewing an diesem 4. Juli 1954, denn die wenigsten hatten ein eigenes Gerät, um das Spiel Deutschland gegen Ungarn anzusehen: Finale der Fußball-Weltmeisterschaft. Kurze Zusammenfassung: Rahn tat, was er musste: aus dem Hintergrund schießen. Danach hieß es: „Tor, Tor, Tor!“ Und schließlich: „Aus, aus, aus, das Spiel ist aus!“ Deutschland war Weltmeister und neun Jahre nach dem verlorenen Weltkrieg wieder wer.

Und was taten die Menschen in der Berliner Seitenstraße? „Wir gingen nach Hause“, sagt Nowotnik. Auch der Zehnjährige lief zurück, um mit seinen Kumpels mit einer Blechdose oder einer Lehmkugel zwischen den Trümmern Fußball zu spielen. Zwei Jahre später zog er nach Obertshausen und versuchte, wie so viele Kinder dieser Zeit, sein Leben zu ordnen: Der Vater war aus der langen Kriegsgefangenschaft zurück und wie fremd, dessen zweite Frau als Nowotniks Stiefmutter konnte die Verstorbene richtige nie ersetzen. An diesem Mittwoch sitzt Nowotnik auf einer Bierbank vor dem Vereinsheim der TG Obertshausen und schaut wieder ein Spiel Deutschland gegen Ungarn. Es ist nur die Europameisterschaft und ein Gruppenspiel. Achtzig Jahre alt ist Nowotnik heute, er trägt eine Mütze auf dem Kopf und hat sich die deuschen Farben auf die Wangen gemalt.

Das Spiel läuft auch nicht im Schwarz-Weiß-Fernsehen, sondern auf einer mächtigen LED-Wand. Es gibt aus dem Lidl-Sortiment kostenlos Bier, Wein, Hamburger und Pommes, Eis, und man kann auf eine Torwand schießen. So sieht es aus, wenn die Marketingmaschine des Discounters loslegt. Der international agierende Einzelhändler veranstaltet im Rahmen seines wuchtigen EM-Sponsorings auch in Deutschland „Fanfeste“ für Vereine. Bewerber sollen dafür originelle Videos einschicken – die besten gewinnen eine Party. Und so lief es auch bei der TG Obertshausen. Der agile Noch-Vorsitzende Thomas Zeiger beschied mit gutem Riecher: Da machen wir mit. Er ließ die Mitglieder seiner Jedermann-Abteilung antreten wie die Nationalmannschaft bei der Hymne – als Musik lief jedoch selbstironisch der Klassiker von Rainhard Fendrich „Es lebe der Sport“. Und mit diesem Film gewannen die alten TGO-Herren ein Fanfest – als einziger Verein in Hessen.

Und so war am Mittwoch der Rasen hinter dem Vereinsheim auch eine große Lidl-Werbefläche für 100 geladene und verdiente Vereinsmitglieder, die an diesem Abend wohl vergessen dürften, dass es aktuell eine bundesweite Rückrufaktion für ein Lidl-Fertiggericht aus Hähnchengeschnetzeltem und Nudeln gibt. Denn wer allergisch auf Sesam ist, der könnte nach Verzehr der damit verunreinigten Speise nicht in Feierlaune sein.

In Obertshausen wird es aber ein schöner Abend, sogar mit spätem Sonnenlicht. Auch der fußballkundige Bürgermeister Manuel Friedrich schaut vorbei und teilt mit, dass wegen des Spiels die parallel terminierte Sitzung des Sport- und Sozialausschusses um eine gute halbe Stunde nach hinten verschoben wurde. Sonst würde ja jedes Ausschussmitglied während der Sitzung per Handy ständig den Spielstand überprüfen.

Damit die beiden jungen Männer der Agentur Liganova, die für Lidl die Fanfeste organisiert, auch wissen, wo sie gerade sind, erteilt Friedrich Geografie-Nachhilfe. „Obertshausen ist nicht zu verwechseln mit Oberhausen. Wir sind eine Kleinstadt mit 25 000 Einwohnern.“

Und Wilfried Nowotnik? Auch er hatte einen schönen Abend. Bei der TGO ist er als strenger Sportabzeichen-Verantwortlicher bekannt, etwas berlinert es aus ihm sogar noch. Er freut sich über den 2:0-Sieg für die Deutschen. Dann ist auch in Obertshausen das Spiel aus, aus, aus.

Von Steffen Gerth