Hermann-Hesse-Schule mit Ausstellung / Kampf gegen Antisemitismus Ein Schicksal als Mahnung

Geschichtsstunde in der Aula: Lehrerin Claudia Wildner (links) und ihre Schülerin Sarah Dahan betrachten die Ausstellung über das Leben von Anne Frank. Bild: gerth

Obertshausen – Vielleicht hätte Sara Ibrahimi an diesem Mittwoch auch auf der Bühne in Berlin stehen und über Religion, Toleranz – aber auch Antisemitismus und Antislamismus unter jungen Leuten und auf der Straße reden sollen. Nicht nur Marco Buschmann (FDP) hätte der 14 Jahre alten Muslima aus Obertshausen bestimmt aufmerksam zugehört.

Der Bundesjustizminister in der Käthe-Kollwitz-Schule im Stadtteil Prenzlauer Berg der Hauptredner bei der zentralen Veranstaltung zum Anne-Frank-Tag 2024. Per Internet können alle Schulen in Deutschland die Zeremonie mitverfolgen, das gilt auch für die jungen Leute in der gut gefüllten Aula der Hermann-Hesse-Schule (HHS).

Die Obertshausener Gesamtschule hatte sich gestern ebenfalls am Schulaktionstag gegen Antisemitismus und Rassismus anlässlich des 95. Geburtstages von Anne Frank beteiligt, rund 600 Schulen in Deutschland und 49 in Hessen waren dabei. Jedes Jahr am 12. Juni wird dem jüdischen Mädchen gedacht, die Schule in Obertshausen ist diesmal zum dritten Mal dabei. Wie passend, denn selten zuvor ist das Schicksal von Anne Frank mahnender als drei Tage nach der Europawahl, bei der verblüffend viele junge Menschen ihr Vertrauen einer in Teilen rechtsextremen AfD schenkten.

Über Leben und Sterben von Anne Frank und ihrer Familie (siehe Kasten) wurde an der HHS unter Federführung der Deutsch- und Religionslehrerin Claudia Wildner eine Ausstellung zusammengestellt mit Materialien von der Bildungsstätte Anne-Frank und aus dem Fundus von Wildner, wie etliche Bücher.

Sara Ibrahimi wiederum übersetzt den aufklärerischen Anspruch dieser Schau in die reale Welt einer Achtklässlerin. Die Realschülerin erzählt von Ressentiments von Mitschülern gegenüber Juden – seit 7. Oktober 2023 und dem Krieg zwischen Israelis und Palästinensern immer unverblümter geäußert. Und sie erzählt, wie sie mit diesen Gleichaltrigen redet und ihnen sagt, was falsch daran sei. „Egal in welcher Religion – es gibt immer Extreme.“ Und weil sie offenkundig in den sozialen Medien und im TV nicht nur nach Popmusik und Schminktipps sucht, sondern Nachrichten liest, abwägt und deswegen Propaganda von Information zu unterscheiden vermag, kann sie auch einem Mitschüler am Dienstag den Unterschied zwischen Judentum und Zionismus erklären. Also der nationalistischem Variante auf Basis des jüdischen Glaubens. Die Leute, sagt sie, sollten sich besser informieren. „Nur weil ich Muslima bin, bin ich ja auch keine Terroristin.“

Aber dann erzählt Sara Ibrahimi auch, wie sie vor allem seit dem Mord an dem Polizisten in Mannheim auf offener Straße beleidigt werde, weil sie durch Hidschab deutlich als Muslima zu erkennen ist. Erst gestern habe es in Obertshausen wieder so einen Vorfall gegeben. „Aber wenn ich mich darüber ärgern würde, wäre es ja das, was diese Menschen wollen.“ Und ihre Mitschülerin Sarah Dahan erinnert sich an einen Vorfall in Offenbach, als sie sich anhören musste: „Scheiß Muslime, scheiß Terroristen.“ Kein Wunder, dass Sara Ibrahimis Mutter bittet, ein Foto ihrer Tochter nicht in der Zeitung zu drucken.

Lehrerin Claudia Wildner hat festgestellt, dass das Schicksal von Anne Frank alle Jugendliche, auch solche mit versteckt oder offenen geäußerten antisemitischen Gedanken, zum Nachdenken bringen würde. „Viele berührt vor allem, dass sie noch leben könnte.“ Und dass sie eben auch ein junger Teenager war, der zwei Jahre lang ein verstecktes Leben in einem holländischen Hinterhaus verbringen musste, nur mit Blick durch eine Dachluke auf einen Kastanienbaum als einzigem Stück Natur. Und die trotz dieser Lage in ihrem ergreifenden Tagebuch unter anderem notierte: „Solange es das noch gibt, diesen wolkenlosen blauen Himmel, darf ich nicht traurig sein.”

Sara Ibrahimi und Sarah Dahan haben dann genug geredet, finden sie, beide wollen endlich auch per Livestream die Berliner Veranstaltung mitverfolgen. Dort sagt Justizminister Buschmann: „Die Aggressivität hat zugenommen. Jüdinnen und Juden haben Angst, sie ziehen sich zurück. Jüdisches Leben ist weniger sichtbar geworden in Deutschland. Und das ist fatal.“ Ob alle Kinder in der Aula der Hermann-Hesse-Schule solche Sätze verstehen, bleibt unklar. Bestimmt verstehen sie die Jüdin Anne Frank, die auch schrieb: „Trotz allem glaube ich an das Gute im Menschen.“ Die Muslima Sara Ibrahimi sieht es möglicherweise genauso.