Gabriele Preuß wurde durch den „Veganuary“ zur Veganerin Aus Liebe zu Tieren

Apfel, Gewürzkuchen, Rezeptbücher: Bei Gabriele Preuß aus Bischofsheim kommt seit vier Jahren nur noch Veganes auf den Tisch. Bild: kristina bräutigam

Maintal – Es herrscht reger Flugverkehr auf dem kleinen Balkon der Mietwohnung im fünften Stock. Blaumeisen picken Erdnusshälften aus dem Vogelhäuschen, Tauben flattern auf das Geländer. Eine landet auf dem Boden, das rechte Beinchen seltsam abgeknickt. „Da denke ich jetzt wieder den ganzen Tag dran“, sagt Gabriele Preuß sichtlich berührt.

Tiere leiden zu sehen: Für die 62-Jährige ist das kaum zu ertragen. Sich gegen Tierleid, vor allem in der Massentierhaltung, einzusetzen, ist der Hauptgrund, warum sich die Bischofsheimerin vor vier Jahren entscheidet, vegan zu leben. Ein Schritt, den sie bis heute nicht bereut hat. „Veganismus ist ja nicht nur eine Ernährungsweise. Es ist ein Lebensstil“, sagt sie.

Den Anstoß gibt der „Veganuary“, eine Kampagne, die Menschen weltweit dazu ermutigt, sich im Januar und darüber hinaus vegan zu ernähren. Als Gabriele Preuß Ende 2019 beschließt, sich anzumelden, lebt sie bereits seit fast 25 Jahren vegetarisch. Doch die Ernährungsform ist ihr nicht konsequent genug. Immer wieder sieht sie Reportagen über Tiere, die in der Massentierhaltung gequält werden. Masthähnchen, die auf engstem Raum in den eigenen Exkrementen vor sich hinvegetieren. Milchkühe, die nach ihren Kälbchen schreien. Schweine, denen in den Lebenstagen die Ringelschwänze abgeschnitten werden.

„Die meisten Nutztiere können kein einziges Mal frische Luft atmen, bis sie angsterfüllt in Transporter gezwängt und nach einer albtraumhaften Fahrt im Schlachthof getötet werden“, sagt Preuß. Mit keinem Cent wolle sie die Fleischindustrie unterstützen, die nur ihren Profit im Sinn hat. „Etwa 800 Millionen Tiere werden jedes Jahr in Deutschland zum Verzehr getötet. Das ist eine unvorstellbare Zahl, die mich traurig macht. Und wütend“, sagt sie.

Neben den ethischen Gründen habe die vegane Lebensweise noch andere Vorteile. Sie trage zum Klima- und Umweltschutz bei, schone wertvolle Ressourcen, weil weniger Treibhausgase verursacht und mehr Fläche für natürliche Fläche gelassen würden, so Preuß, die auch regelmäßig auf Vegan-Demos geht.

Der Schritt, komplett auf tierische Produkte zu verzichten, sei ihr nicht schwergefallen. Über den Veganuary-Newsletter bekommt sie täglich neue vegane Rezeptideen und Informationen zu veganen Produkten, dazu jede Menge Informationen und Tipps. Im Supermarkt habe sie anfangs allerdings doppelt so lang gebraucht, erzählt die Bischofsheimerin. Jede Zutatenliste muss sie genauestens unter die Lupe nehmen; lernen, versteckte nicht-vegane Zutaten zu erkennen.

Noch heute muss sie manchmal googeln, um nicht doch versehentlich einen Inhaltsstoff tierischen Ursprungs zu übersehen. „Aber mit der Zeit wird es einfacher. Und das Lernen macht auch Spaß“, sagt Preuß, Ihre Überzeugung zeigt sie auch nach außen: Um ihren Hals baumelt das goldene V des Vegan-Labels, das passende Tattoo ziert den rechten Unterarm. Ein Geschenk ihrer beiden Kinder zum 60. Geburtstag.

Auf die Entscheidung, vegan zu leben, habe es in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis nur wenige Reaktionen gegeben. Als Veganer konfrontiere man das Gegenüber immer auch mit dem eigenen Fleischkonsum. „Aber die meisten möchten sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen. Sie verdrängen lieber die Bilder von gequälten Tieren, als ihre Gewohnheiten umzustellen. Und so mancher merkt in der Diskussion vielleicht auch, dass er nicht so tierlieb ist, wie er denkt.“

Preuß hat sich viel mit der Ideologie des Fleischessens, dem sogenannten Karnismus, beschäftigt. Dieser hinterfragt, warum der Verzehr bestimmter Tierarten als ethisch vertretbar und angemessen betrachtet wird, Tiere also in „essbar“ und „nicht essbar“ eingeteilt werden. Vor allem Menschen, die ihre Haustiere lieben, aber trotzdem Fleisch essen, kann Preuß nicht verstehen. „Auch Nutztiere wie Schweine, Kühe und Hühner sind Lebewesen, die eine Seele haben und die Schmerz und Leid empfinden.“

Sie erzählt von einer Wanderung in der Rhön. Die friedlich grasenden Rinder zu beobachten und abends im Gasthaus das Steak auf dem Teller zu haben, für sie nicht vereinbar. „Die anderen sehen das Stück Fleisch, ich sehe das Tier“, sagt Preuß.

Dennoch sei sie niemand, der missionieren wolle, betont die Bischofsheimerin. Sie versuche lieber, ihr Umfeld kulinarisch zu überzeugen. An Weihnachten etwa gab es Linsen-Hirse-Frikadellen mit Ofengemüse, wie bei Muttern, nur eben fleischlos. Auch Eintöpfe, Quiches, Aufläufe oder Aufstriche beherrscht die Mutter zweier erwachsener Kinder mittlerweile perfekt, ganz ohne Fleisch, Käse, Eier. Milch oder Sahne. „Meine Gäste waren bisher immer begeistert“, sagt sie und lacht. Über sich selbst sagt Gabriele Preuß, sie sei „zu 99,9 Prozent“ vegan. Wenn sie eingeladen sei, esse sie schon mal ein normales Stück Käsekuchen. „Aus Höflichkeit“, wie sie sagt. Fleisch würde sie, die als Kind so gern Leberkäs-Brötchen und Rinderrouladen gegessen hat, dagegen nie mehr anrühren.

Wenn Schnitzel, Bratwürstchen oder Hamburger heute auf dem Teller landen, dann als veganes Ersatzprodukt auf Soja- oder Weizenbasis. Einzig den Geschmack eines „echten“ Goudas oder Camemberts vermisse sie hin und wieder, gibt Preuß zu.

Dennoch: Auch nach vier Jahren ist die Bischofsheimerin überzeugt, dass Veganismus eine nachhaltige und gesunde Lebensweise ist, die sich nicht für den Einzelnen, sondern am Ende auch für den Planeten lohnt. Sie selbst fühle sich nach vier Jahren als Veganerin nicht nur gesünder und fitter. Sie habe auch ein neues, friedlicheres Lebensgefühl. „Ich bin nicht mehr daran beteiligt, Tieren Leid und Tod zu bringen.“

„Veganuary“ ist eine gemeinnützige Kampagne, die Menschen ermutigt, sich im Januar und darüber hinaus vegan zu ernähren. Veganuary wurde 2014 im britischen Yorkshire gegründet. Heute ist die Bewegung weltweit aktiv. Wer sich unter veganuary.com registriert, erhält Rezepte, Ernährungstipps und Infos zum Veganismus.
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