Michel Friedman hält bewegende Rede beim Empfang des Kreisausländerbeirats Gesellschaft in einem „unguten Zustand“

Aufwühlende Worte: Michel Friedman redet beim Empfang des Kreisausländerbeirats. Bild: scho

Dietzenbach – Es war nicht nur so, dass im Sitzungssaal der Kreisverwaltung während des Vortrages konzentrierte Stille herrschte und die mehr als 300 Gäste zuhörten: Am Schluss erhob sich der größte Teil des Publikums und spendete dem Redner langanhaltenden Applaus. Mit der Einladung an den Frankfurter Publizisten, Philosophen und Politiker Michel Friedman, im Rahmen des politischen Jahresempfangs über das Thema Demokratie zu sprechen, hat der Kreisausländerbeirat offensichtlich einen Nerv der Zeit getroffen. „Das muss ich erst mal sacken lassen“, war im Anschluss das meist gehörte Resümee.

Der Gastredner sei ein „streitbarer Geist“, der kein Blatt vor den Mund nehme, hatte Landrat Oliver Quilling seinen CDU-Parteikollegen angekündigt. Friedmann knüpfte zu Beginn indes an den vorangegangen musikalischen Vortrag von Alexander Chatzis-Jordis und seiner Band an und begann seine Ansprache mit dem Thema „Liebe“. Aber auch auf die könne man sich nicht immer verlassen, stellte der Publizist fest. „Auch die Liebe kennt Anfang und Ende, nämlich dann, wenn man nicht mehr neugierig ist oder wenn man glaubt, man sei angekommen.“ Im weiteren Verlauf seiner stellte Friedman dann unter anderem das Zitat des Schriftstellers George Tabori, „Jeder ist jemand“ in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Er wolle über die Menschen sprechen, hob er hervor. „Dabei geht es um Respekt, diesen anzuzweifeln, ist der Anfang vom Ende.“

Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden, dessen Eltern und Großmutter mithilfe des Unternehmers Oskar Schindler den Holocaust überlebten, streifte im Verlauf seiner Rede die aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Hamas und Israel nur. Stattdessen rief er dazu auf, grundsätzlich die Politik Israels und das Judentum nicht zu vermischen.

Nicht erst seit heute sei unsere Gesellschaft in einem „unguten Zustand“, stellte der Redner fest und hob hervor: „Teile in unserer Demokratie haben nie aufgehört, Unrecht zu sein.“ In Deutschland herrsche noch immer ein „struktureller Rassismus.“

Dazu komme, dass es mittlerweile selbstverständlich sei, was vor wenigen Jahren begonnen und damals noch aufgewühlt habe. Früher als Partei der Protestwähler klassifiziert, sei die AfD heute in Hessen stärkste Oppositionspartei. „Und es herrscht Schweigen, und die demokratischen Parteien sind schwächer geworden.“ Aussagen wie „nie wieder“ oder „wehret den Anfängen“ wolle er nicht mehr hören. „Es gibt mehrere Generationen, die den Anfängen hätten wehren können.“

Entsprechend stellte Friedman im weiteren Verlauf die Frage: „Warum hört man die Demokraten nicht?“ Wie so oft rief er auch in Dietzenbach zum Widerspruch auf: „Wir müssen wieder streiten und diskutieren, aber auf sachlicher Ebene.“ Es gehe darum zuzuhören und nicht so schnell zu verurteilen. „Wir sind schließlich aufeinander angewiesen.“ Erforderlich sei dabei auch, die junge Generation mitzunehmen, es gelte, die Kinder zur Autonomie zu erziehen und sie zu stärken, auch mal zu widersprechen.

Bereits zuvor hatte Hüsamettin Eryilmaz, Vorsitzender des Kreisausländerbeirates, Michel Friedman gegenüber festgestellt: „Mit ihrer Zusage erhält unser diesjähriger Empfang eine besondere Bedeutung.“ Seit Jahren stelle der Beirat fest, dass der Rechtspopulismus erstarke und rechte Gewalt gegen Migrantinnen und Minderheiten zunehme. „Deshalb sind wir in großer Sorge“, sagte Erylmaz.

Eine Abrundung fand das Programm darüber hinaus mit einem Beitrag des Poetry-Slammers Jonas Elpelt, Landrat Quilling gedachte auch der „dramatischen Ereignisse im Nahen Osten“ und der Opfer in der israelischen Partnerstadt des Kreises, Kiryat Ono. Im Anschluss waren die Gäste geladen, sich innerhalb eines „Marktes der Möglichkeiten“ über die Arbeit der Partnerschaft für Demokratie Kreis Offenbach zu informieren.

Von Barbara Scholze