Michel Friedman im Gespräch mit Thomas Haldenwang Gesicht zeigen?!

Thomas Haldenwang (links) und Michel Friedman verabschieden sich vom Publikum. Bild: Jeannette Faure

Nordend-West (jf) – „Friedman fragt“ heißt eine Reihe des Deutschen Exilarchives 1933 bis 1945 in der Nationalbibliothek. An diesem Abend war Thomas Haldenwang zu Gast. Der Jurist ist seit 2009 Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz und seit 2018 dessen Präsident.

„Mit der Veranstaltung schlagen wir eine Brücke zwischen gestern und heute“, sagte Ute Schwens, Direktorin der Nationalbibliothek. Sylvia Asmus, Leiterin des Exilarchivs, hatte ein Fundstück parat: Das Buch „Hitler der Eroberer. Die Entlarvung einer Legende“. Es war 1933 anonym im Malik-Verlag Prag erschienen, das Cover hatte John Heartfield gestaltet. Autor war Rudolf Olden. Das Exilarchiv hatte 2010 eine Ausstellung unter dem Titel „Rudolf Olden. Journalist gegen Hitler – Anwalt der Republik“ gestaltet. „Olden hatte Gesicht gezeigt.

Deshalb musste er 1933 Deutschland verlassen. Im September 1940 ging Olden mit seiner Frau Ika an Bord des Passagierschiffs ‚City of Benares’, das von England in Richtung USA unterwegs war. Nach einem Torpedoangriff eines deutschen U-Boots sank das Schiff. Olden und seine Frau starben mit 251 anderen Passagieren“, berichtete Sylvia Asmus. „Ist es heute wieder Zeit, Gesicht zu zeigen?“, fragte Michel Friedman: „In Sachsen, Thüringen und Brandenburg stehen Landtagswahlen vor der Tür. Sollte die AfD gewinnen, könnte das erhebliche Folgen für die Bürger haben.“ Thomas Haldenwang nannte Zahlen: „Es gibt 40.500 Rechtsextremisten in Deutschland. Wir sehen eine deutliche Stärkung dieser Richtung.“

Der Begriff „Rechtsextremisten“ schrecke wohl nicht mehr ab. Die Situation auf den Straßen habe sich verändert, die Bedrohung von Kommunalpolitikern zugenommen. „Erinnert die Angst von heute an die von damals? Ziehen sich die Leute wie damals ins Private zurück?“, hakte Friedman nach. „Es gibt Parallelen. Anders ist jedoch, dass die Sicherheitsbehörden heute nicht mehr wegschauen“, antwortete Haldenwang.

„Wenn sie denn da sind“, meinte Friedman. „Es knirscht an allen Ecken und Enden, aber wir können Sicherheit garantieren. Das war in der Weimarer Republik nicht so“, stellte der Verfassungsschützer klar. Friedman legte den Finger in die Wunde: „Als auf Sylt gegrölt wurde, stellte sich niemand entgegen. Ist das bedenklich?“ „Wir sind alle aufgerufen, die Demokratie zu schützen. Die Demonstrationen am Jahresanfang waren beeindruckend, besonders in Orten mit starken Rechten“, entgegnete Haldenwang. Und nun? Das Auflehnen geriet ins Stocken. „Ich bin unverbesserlicher Optimist, sonst könnte ich den Job nicht machen“, warf der Präsident des Verfassungsschutzes ein. Er schätze den Kern der AfD auf zehn bis zwölf Prozent der Wähler. Allerdings befeuern vielfältige Krisen simple Lösungen: „Da haben es alle Rattenfänger einfach.“ Die Politik stehe vor großen Herausforderungen. „Machen wir es uns mit dem Begriff ‚Protestwähler’ nicht zu einfach? Sind nicht alle mündige Bürger, die ernst genommen werden müssen und denen wir entgegentreten müssen?“

Unbestritten sei, dass Politik besser erklärt werden müsse, sagte Haldenwang. Es sei wichtig, die Menschen zu erreichen. Weite Bevölkerungskreise informierten sich nur noch im Internet, gerieten so in Blasen. „Die AfD gibt das Dreifache an Geld, verglichen mit den Mitteln aller anderen Parteien zusammen, für soziale Medien aus“, weiß Haldenwang. „Wir setzen Hilflosigkeit, Gemütlichkeit und Unfähigkeit dagegen“, erzürnte sich Friedman. Es sei unabdingbar, die Medienkompetenz junger Menschen zu stärken – eine Aufgabe aller, unterstrich Haldenwang. Eine klare Stellung erwarte er gegen Antisemitismus, der nach dem Massaker der Hamas Auftrieb erhalten habe. In der Fragerunde ging es um Wirtschaft, Polizei und den Wahlomaten, der noch ein wenig Tuning vertragen könnte.