Theater Williy Praml erarbeitete Kleists „Erdbeben in Chili“ mit Geflüchteten Erdbeben in drei Sprachen

Geflüchtete Mitwirkende mit Abdulaziz Zähter (links), Mike Josef (vorn rechts), Soheila Kiani-Dorff (rechts), Willy Praml (Dritter von rechts), Birgit Heuser und Michael Weber (links daneben). Foto: jf

Ostend (jf) – Glücklich sind die Menschen, die das Erdbeben von St. Jago überlebt haben. Die Stadt liegt in Schutt und Asche, nur die Kathedrale bleibt wie ein Wunder unbeschädigt. Im ersten Aufatmen, die Naturkatastrophe überstanden zu haben, versammeln sich die Überlebenden in einem grünen Tal, das für Stunden zum Garten Eden wird: Klassenunterschiede spielen keine Rolle mehr, tot geglaubte Liebende sehen einander wieder, geteilt wird das Wenige, das übrig geblieben ist, unter allen.

Aber der Dankgottesdienst im Dom wandelt sich in ein Schuldgericht, denn irgend jemand muss doch den Zorn Gottes erregt haben, der dann das Tod bringende Beben schickte.

Seit über drei Monaten probt das Theater Willy Praml „Das Erbeben in Chili“, Heinrich von Kleist schrieb die Novelle vermutlich 1806, verwendete als historische Vorlag das Erdbeben von 1647 in Santiago de Chile und das Lissabonner Erdbeben von 1755.

„Wir haben Ende Januar eine Ausschreibung herausgegeben, suchten eigentlich Geflüchtete, die in ihrer Heimat bereits Theatererfahrungen gesammelt hatten. 48 Bewerbungen haben wir erhalten – die meisten allerdings hatten noch nie etwas mit Theater zu tun“, erzählte Regisseur Willy Praml, „aber alle sind sehr engagiert.“ 21 Aktive sind nun dabei. Dazu die Ensemblemitglieder Michael Weber, Birgit Heuser und Jakob Gail. Täglich wird bis zu sechs Stunden geprobt. Die Mitwirkenden kommen aus Aleppo, Damaskus, aus den syrischen Kurdengebieten, aus dem Iran und aus Afghanistan. „Wir sind froh, dass auch die Ämter unser Projekt unterstützen; Umsiedlungen von Geflüchteten wurden verschoben.“ Der Text wurde aus dem Deutschen ins Farsi und ins Arabische übersetzt – diese drei Sprachen werden auch auf der Bühne gesprochen. Erstaunlich dabei: Tayebeh Heydary beispielsweise, eine vor wenigen Monaten in Deutschland angekommene und nun im Neckermann-Haus lebende Geflüchtete, wechselt von Farsi ins Deutsche, Ensemble-Mitglied Birigt Heuser spricht Farsi. So entsteht ein neues Sprechtheater, das an eine Oper erinnert. Aller Text ist dreifach zu hören; auf Deutsch, Farsi und Arabisch. „Über Geflüchtete wird viel geredet, im Theater Willy Praml werden sie zu Hauptdarstellern“, äußerte Mike Josef, Schirmherr des Projekts, der selbst mit vier Jahren aus Syrien nach Deutschland kam. Kleists Stück habe viel mit der Gegenwart zu tun; im „Erdbeben“ richten die Menschen nach der Naturkatastrophe eine noch viel schlimmere an, für die sie allerdings selbst die Verantwortung tragen. Es geht um Hinrichtung, Folter, Gefängnis, Flucht. Natürlich waren die Proben nicht einfach. „Willy Praml hat große Geduld mit uns“, würdigte Abdulaziz Zähter vom Solidaritätsverein Syrischer Kurden.

„Wir hoffen, dass wir mit diesem Projekt das kulturelle Leben beeinflussen können“, wünscht sich Praml und unterstrich, dass die drei Sprachen gleich wichtig nebeneinander stehen – auch auf dem Plakat kann der Titel des Stücks, das bei Praml die Unterzeile „Theaterprojekt zwischen den Welten. Von Beheimateten und Geflüchteten.“ trägt, dreisprachig gelesen werden. „Wenn wir ein ebenso vielsprachiges Publikum, das Farsi oder Arabisch versteht, hätten, wäre das toll“, merkte Praml an; für Geflüchtete ist der Eintritt übrigens frei. Die Premiere am 10. Juni ist bereits ausverkauft, das Interesse für die folgenden zehn Aufführungen ist hoch.

Das Theater Willy Praml hat einen Aufruf gestartet, geflüchteten Mitwirkenden eine Fahrkarte zu sponsern; die Fahrten aus Bad Soden, Büdingen oder Mainz zum Theater können damit ermöglicht werden. Birgit Heuser erwähnte, dass bereits persönliche Patenschaften entstanden sind – das ist weit mehr als eine Geldspende, von der man nicht weiß, wer genau und wie damit unterstützt wird.

„Wir wollen, dass die Arbeit – auch mit Unterstützung des Frankfurter Psychoanalytischen Instituts – weiter geht“, sagte Praml. Soheila Kiani-Dorff vom Institut nickte: „ Das Stück ist wie eine Trauma-Therapie, die Arbeit muss auf jeden Fall fortgesetzt werden.“

Mehr über „Das Erdbeben von Chili“ ist unter www.theater-willypraml.de zu lesen und zu sehen.