„Wir sind inzwischen nur noch zehn Sänger, einige um die 80 Jahre. Der älteste Aktive ist 91 Jahre, gesanglich sind alle gut drauf“, informiert Weber über die Hintergründe des einschneidenden Entschlusses. Fallen nämlich ein oder zwei Sänger zum Beispiel aus, seien schon keine Chorproben mehr möglich. Denn gesungen werde vierstimmig.
Männerchöre schwächeln generell, finden keinen Nachwuchs. „Auch wir haben versucht, mit einem Projektchor neue Mitglieder für den Männerchor zu begeistern, leider gab es kein Interesse“, sagt Weber. Im Herbst vergangenen Jahres haben Vorstand, Dirigent Alexander Franz und Sänger gemeinsam überlegt, wie es weitergehen kann. „Es ist ja für alle frustrierend, für den musikalischen Leiter und für die Sänger. Wir wollen ja alle professionell arbeiten. Aber mit zehn Sängern schaffen wir es nicht einmal, Mitgliedern des Vereins ein Ständchen zu singen“, schildert Josef Weber die schwierige Lage, die nun zur Auflösung des Männerchors geführt hat.
Bei Darbietungen hatte der Männerchor zuletzt Unterstützung durch die Männer der Uccelli di Canto, der jungen Chorformation des Volkschors, zum Beispiel beim Weihnachtskonzert in der evangelischen Kirche erhalten Zur Weihnachtsfeier fand dann Mitte Dezember der letzte Auftritt des Männerchors statt.
Sehr emotional waren damals die Worte, die Vorstandsmitglied Kathi Schwedt im Anschluss fand. Sie bedankte sich herzlich bei allen Sängern. Einige sind bereits über sechs Jahrzehnte im Volkschor aktiv. So zum Beispiel Erwin Reinstädt, der für seine 65-jährige Vereinsmitgliedschaft geehrt wurde. Josef Weber, der fast vier Jahrzehnte im Männerchor des Volkschors gesungen hat, sagt, ihm werde nicht nur das Singen, sondern auch der Austausch fehlen. Sicher werden einige Sänger im Kreischor eine neue Heimat finden. Er selbst wisse im Augenblick noch nicht, ob er sich einem neuen Chor anschließen will.
Unvergessene musikalische Erfolge feierte der Männerchor mit Diplom-Kapellmeister Winfried Siegler. Unter dem Künstlernamen Siegler-Legel komponierte der Dirigent und Chorleiter zahlreiche Werke und schrieb Literatur für Chöre um. Siegler, der in Rodgau zu Hause war und 2015 kurz vor seinem 82. Geburtstag verstorben ist, begleitete „seine Chöre“ in der Region über Jahrzehnte.
Auch der Volkschor Langenselbold zählte zu den „Siegler-Chören“, die auf nationalen und internationalen Bühnen einen Namen hatten. So schreibt op-online am 20. Juni 2015: „Kritiker rühmten immer wieder den typischen ‘Siegler-Klang’, den Transparenz, Tonreinheit, Aussprache und Rhythmik so einmalig machen.“
Auch in Langenselbold erinnern sich die Sänger gerne an die Siegler-Ära. Als Josef Weber Ende der 1980er Jahre in den traditionsreichen Chor eintrat, probten jede Woche zwischen 50 und 60 Männer. Gemeinsam mit anderen Chören und Orchester traten sogar in der Alten Oper in Frankfurt auf. Auch auf dem Hessentag 2009 gaben Männer- und Volkschor im großen Zelt ein unvergessenes Konzert. Dabei sangen sie Ausschnitte aus Oper und Operette, die Winfried Siegler für Chöre adaptiert hatte, oder vom Kapellmeister komponierte Chor-Literatur. Zum 110-jährigen Bestehen des Männerchors im Jahr 2013 standen unter Dirigent Alexander Franz noch 41 aktive Sänger auf der Bühne. Doch dann verkleinerte sich der Männerchor rasant, sodass seine Auflösung nun unausweichlich wurde.
„Wir kommen weiterhin zur traditionellen Fuchsjagd zusammen“, sagt Weber. Das jährliche Treffen mit ehemaligen Sängern des Männerchors und den Männern von Uccelli di Canto soll als gesellschaftliches Ereignis auch weiter fortgeführt werden.
Die anderen Chorgemeinschaften des Volkschors machen weiter: der Frauenchor, Uccelli di Canto sowie die Selbolder Tönchen und die Teenie Singers. Die beiden Nachwuchschöre haben seit Anfang 2023 mit dem 26-jährigen Felix Müller einen jungen, engagierten Chorleiter. Seither sei der Zuwachs sehr erfreulich und die Zahl der kleinen Sängerinnen und Sänger habe sich verdreifacht. Und wer weiß, vielleicht entdeckt und interpretiert die nachfolgende Sängergeneration die „alten Lieder“ aufs Neue. Die Noten für die Lieder, viele davon von Winfried Siegler komponiert, warten im Archiv auf ihre Wiederentdeckung.
upo