Anika Hensel und ihr Mann züchten seit 30 Jahren Burenziegen Meisterinnen der Entbuschung

Typischer hellbraun gezeichneter Kopf: Anika Hensel begutachtet eines der Lämmer. Bild: kristina bräutigam

Maintal – Die Sonne strahlt an diesem Morgen über den Hochstädter Streuobstwiesen. In Gummistiefeln und grüner Arbeitshose stapft Anika Hensel den matschigen Weg entlang, vorbei an weiß blühenden Apfelbäumen, in denen Bienen summen. Im Stall wird die 58-Jährige bereits sehnsüchtig erwartet. Sie ist heute später dran, ihre Ziegen warten auf das Frühstück: Maissilage und etwas Schafkraftfutter bekommen die zehn Muttertiere, die ganztägig auf der Weide bleiben. „Es ist wie bei uns Menschen: Wer viel Milch produziert, nimmt ab. Da muss man zufüttern“, sagt Hensel, während sie das Futter in den Trog kippt.

Seit 30 Jahren züchten Anika Hensel und ihr Mann Rüdiger Ziegen. Sie beginnen mit der Bunten Deutschen Edelziege, einer Milchziegenrasse. Im Jahr 2000 steigen sie auf die Burenziege um; eine Fleischziege, die ursprünglich aus Südafrika stammt und sehr robust ist. Ihr Mann habe eigentlich immer Schafe haben wollen, erzählt Hensel. Ihr Herz aber schlägt für Ziegen. Vielleicht liege es daran, dass sie als Kind mit einer Milchziege aufwächst.

Für die Zucht der „Burenziegen vom Distelberg“ ist Ehemann Rüdiger, ein studierter Agraringenieur, zuständig. Seine wichtigste Aufgabe: die Auswahl eines geeigneten Bocks. Die Ziegen beglücken darf nur, wer die perfekten Voraussetzungen mitbringt. Denn obwohl die Hensels nur eine Hobbyzucht betreiben: Die Zuchtziele sind klar definiert. „Die Burenziege sollte einen langen, geraden Rumpf haben, der nicht durchhängt. Und sie braucht gute Beine und Klauen“, fasst Anika Hensel zusammen und zeigt auf Mia, die Ziege mit der Nummer 283 auf der Ohrenmarke. Auch bei der Farbe sind die Vorgaben streng: Die perfekte Burenziege hat eine weiße Grundfarbe, einen rotbraun bis hellbraun gezeichneten Kopf und im Idealfall eine weiße geschlossene Blesse. Nicht erwünscht sind eine bis in den Nacken durchgehende Blesse sowie weiße, geknickte, längs gefaltete oder verdrehte Ohren. „Wir sind immer noch jedes Mal gespannt, wenn ein Lamm geboren wird. Am Ende bleibt es eine Überraschung“, sagt Hensel, die versucht, bei jeder Geburt dabei zu sein. Fünf Monate plus minus fünf Tage ist eine Ziege trächtig. „Das stimmt immer ziemlich genau“, sagt sie.

Grundsätzlich gilt: Je perfekter der Bock, desto größer die Chancen, dass auch seine Nachkommen die Zuchtziele erreichen. Mit Bock „Ramon“ landete Rüdiger Hensel allerdings einen Volltreffer. Kein anderer Bock bescherte so viele gelungene Lämmer wie der Bock aus dem rheinland-pfälzischen Guldental. Während andere Böcke meist maximal zwei Jahre eingesetzt werden, durfte Ramon stolze vier Jahre in Hochstadt bleiben. Die Mühe lohnt sich: 2018 erhalten Anika und Rüdiger Hensel den „Hessischen Staatsehrenpreis für besondere Leistungen in der Tierzucht“, gehören mittlerweile zu den erfolgreichsten Bürenziegenzüchtern in Hessen.

In diesem Jahr gehören neben den zehn Muttertieren 14 Lämmer zum Bestand.

Für die Landschaftspflege ist die Burenziege bestens geeignet, berichtet Anika Hensel, die hauptberuflich beim Landschaftspflegeverband Main-Kinzig-Kreis arbeitet und hier für die Entwicklung und Pflege von Flora-Fauna-Habitat-Gebieten zuständig ist sowie die Streuobstwiesen am Berger Südhang betreut. Insbesondere gegen die Verbuschung, die die Streuobstwiesen rund um Maintal bedroht, sind die Burenziegen eine wahre Wunderwaffe. Denn Ziegen sind Busch- und Strauchfresser – und dornige Brombeersträucher sind für sie eine Delikatesse. „Die Ziegen stürzen sich regelrecht in die Sträucher, zupfen die Blätter von den Zweigen, reißen die Rinde und Äste ab. Damit die Artenvielfalt und damit die Kulturlandschaft auf den Streuobstwiesen erhalten bleibt, wird der Zwischenzaun innerhalb der Weidefläche täglich ein Stück versetzt, zum Wochenende wird die gesamte Fläche neu abgesteckt. Durch diese sogenannte rotierende Portionsweide kommen die Ziegen erst nach acht bis zehn Wochen zurück auf die ursprüngliche Wiese. So hat das Grünland genügend Zeit sich zu regenerieren, die Artenvielfalt von Pflanzen und Tierwelt auf der Wiese bleibt erhalten. „Artenreiches Grünland braucht ein gutes Management“, sagt Hensel.

Jeden Abend, um 22 Uhr, treibt sie die Ziegen zurück in den Stall. Der Wolf sei in der näheren Umgebung gesichtet worden. Das größere Problem seien jedoch die Hunde, die immer wieder unangeleint über die Streuobstwiesen laufen und die Ziegen hetzen. Anika und Rüdiger Hensel setzen deshalb mittlerweile auf ein doppeltes Zaun-System. Der Frust über uneinsichtige Hundehalter aber bleibt.

Jedes Tier wachse einem über die Jahre ans Herz, sagt Anika Hensel, die jede einzelne Ziege beim Namen kennt. Haben die Burenziegen ein bestimmtes Alter und können keine weiten Strecken mehr laufen, werden sie geschlachtet. „Ein Weidetier im Stall zu halten, ist für mich Tierquälerei“, sagt Hensel. kbr