Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus Rund 40 Mühlheimer Bürger gedenken an der Friedenseiche

Hier vor der Friedenseiche an der Willy-Brandt-Halle trafen sich am vergangenen Sonntag zahlreiche Mühlheimer Bürger, um der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Foto: m

Mühlheim (m) – Mehr als eine Million Tote, die meisten von ihnen Juden: Mit dieser unfassbaren Zahl wurde Auschwitz weltweit zum Symbol des Holocaust. Die Soldaten der Roten Armee fanden am 27. Januar 1945 etwa 7.000 kranke und entkräftete Häftlinge vor, darunter auch Kinder. Das Datum wird als Tag der Befreiung begangen. In Mühlheim ruft stets der Ortsverein des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) zum Gedenken auf, 40 der rund 28.000 Einwohner trafen sich am Sonntag vor der Friedenseiche an der Willy-Brandt-Halle.

Dieter Schneeweiß, zweiter Vorsitzender des DGB, begrüßte den Stadtverordneten-Vorsteher Harald Winter, der in seiner Rede eine Brücke vom Holocaust zu aktuellen Entwicklungen schlug. Sechs Millionen Juden wurden während der Nazi-Herrschaft in ganz Europa systematisch ausgerottet. „Der Jude war für die Nazis kein Wesen aus Fleisch und Blut“, definierte Winter, „er galt als das Böse schlechthin und diente als Projektionsfläche für Ängste und Feindbilder“. Die Bevölkerung wagte nur vereinzelt, dagegen aufzubegehren. „So wurde der Weg für einen Rassenwahn geebnet, auf dem sich die Nazis zu Herren über Leben und Tod machten“ und „unwertes Leben“ vernichteten. „Nie zuvor hat ein Staat ganze Menschengruppen so systematisch stigmatisiert, drangsaliert und in so großer Zahl präzise durchorganisiert in einer hocheffizient betriebenen Maschinerie getötet“.

Für ihn sei es wichtig, „dass dieses Gedenken in meiner Heimatstadt wachgehalten wird“. Der Kommunalpolitiker versuchte, das Leid der Betroffenen, der Kinder und Alten nachzuzeichnen. In Mühlheim wurden in der Reichspogromnacht 1933 exakt 92 jüdische Bürger aus ihren Wohnungen getrieben und ins Wachthäuschen gesperrt. „Viele Nachbarn haben scheinbar tatenlos zugesehen und wollten später nichts mitbekommen haben.“ Winter fragte sich, ob wirklich keiner helfen wollte oder konnte. Neben hochrangigen Nazis seien es „oftmals normale Bürger“ gewesen, die mitmachten: Weil sie der ideologischen Verblendung verfallen waren, Profit aus dem Unglück anderer schlagen oder vor Angst gelähmt nicht eingreifen konnten. „Ein ganzes Volk sollte vernichtet werden und kaum einer nahm Notiz davon“, vermutete der Sprecher. Filme wie „Schindlers Liste“ und Dokumentationen seien nur schwer zu ertragen, „und doch spiegeln sie nur einen Bruchteil der Geschichte“. Umso wichtiger sei es, das Gedenken wach zu halten. Angesichts erstarkter Rechtspopulisten, in einer Zeit, in der die Politik des Hasses und der Falschaussage auf dem Vormarsch sei, stelle sich die Frage, „was wir aus unserer Geschichte gelernt haben“. Für Harald Winter liege es an jedem selbst, „Verantwortung zu übernehmen und aufzuzeigen, welchen Weg unsere Gesellschaft in der Zukunft gehen will“. Dabei werde die Erinnerung an die schrecklichen Taten eine Rolle spielen, allerdings nicht wie von Rechten postuliert als „ewiges Schuldbekenntnis, sondern als lebhafte Erinnerung und Mahnung an die Zukunft“. „Ich bin der sicheren Überzeugung, dass aufgeklärte, politisch frei denkende Menschen in unserem Land nicht zulassen werden, dass sich die Geschichte wiederholt“, rief der Redner und zitierte den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck: „Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz“. Der Holocaust gehöre zur Geschichte des Landes und bleibe auch in der Mühlenstadt präsent, „wo wir täglich an Häusern vorbeigehen, aus denen Juden deportiert wurden“, so Winter. „In Deutschland, wo Vernichtung geplant und organisiert wurde, ist der Schrecken der Vergangenheit näher und die Verantwortung für Gegenwart und Zukunft größer und verpflichtender als anderswo.“