Winterschnittkurs des Obst- und Gartenbauvereins lockt 40 Teilnehmer an Erziehung für junge Bäume

Das richtige Equipment ist gefragt: Michael Keller (auf der Leiter) empfiehlt den Interessierten, beim Werkzeug nicht zu sparen. Foto: M

Mühlheim – So manchem Zuschauer beim Winterschnittkurs des Obst- und Gartenbauvereins scheint ein Schauer über den Rücken zu laufen. Mit einer kleinen Gartenschere nimmt der Mann auf der Leiter – schnipp schnapp – dem jungen Obstbaum einen Trieb nach dem anderen. Aber Michael Keller ist ein ausgewiesener Experte seines Fachs, erläutert vor mehr als 40 Interessierten und einem Schäferhund, wo der „Erziehungsschnitt“ anzusetzen ist.

Vorsitzender Bernd Schwerzel hat gerade die Gästeschar auf der Streuobst-Erlebniswiese am Lämmerspieler Friedhof begrüßt. Die anschauliche und fachkundige Lehrstunde des Obst- und Gartenbauvereins eint auch nach vielen Jahren Freunde der Grün-Kultur um die Stämme.

Diesmal widmet sich der Fachwart und zertifizierte Landschaftsobstbauer jungen Pflanzen.

Er versucht, die Runde für gutes Handwerkszeug zu gewinnen. Es sollte schon eine stabile Leiter sein und nicht die Gartenschere für acht Euro im Sonderangebot. Er selbst benutze ein Modell eines Schweizer Herstellers: Das koste zwar 45 Euro, dafür gibt’s jedes Teil einzeln nachzukaufen! Die Säge sei „fast eine Waffe“ und nur mit Handschuhen zu benutzen.

Dann vermittelt Keller noch Wissenswertes über den Apfel. Dass er mit der Rose verwandt ist, wissen Stamm-Teilnehmer schon. Nicht aber, dass die Paradiesfrüchte rund um den Äquator nicht gedeihen. „Vier Gerüstäste braucht der Baum“, lehrt der Referent. Der erste Kandidat weist nur drei auf. Sie sollen idealerweise in einem Abstand von drei bis fünf Zentimetern den Stamm verlassen.

Mit Spreizhölzern fixiert der Fachberater zwei Äste in einem 45-Grad-Winkel, damit das Holz auch 25 Kilogramm Obst tragen kann und dieses sich später einfach ernten lasse. Auch eine waagerechte Stellung erfülle diesen Zweck. Der Rote Boskop gegenüber entwickelt mehr Triebe gen Süden. Keller deutet auf die mächtige Eiche auf der Nordseite, die das zarte Bäumchen in den Schatten stellt. Die ausladenden Äste müssen gekürzt werden, sie könnten unter der Last der Früchte abbrechen. Auch der Wasserspross, der gen Himmel treibt, fällt unter den Klingen. „Alles, was nach innen oder nach unten wächst, muss weg“, stellt der Experte klar. Und Zweige, die anderen das Licht wegnehmen. „Aber nicht mehr als ein Drittel“, mahnt der Berater, „sonst wird der Baum in die Jugend versetzt“. Will heißen, der Wuchs wird übermäßig provoziert. „Lieber 30 schöne Äpfel als 50 kleine.“

Die Pflanzen auf der Fläche an der Edith-Stein-Straße haben’s ein bisschen besser als andere. Sie stehen in keiner Monokultur und werden nicht gespritzt. Höchstens biologisch, versichert der Sprecher, mit Neemöl von der gleichnamigen Palme. Es hält den Frostspanner zurück, der den Baum kahl frisst. „Das macht 25 Jahre alten Gehölzen weniger aus, junge Pflanzen überleben das nicht.“ Keller empfiehlt der Gruppe, auf das Bestreichen von Schnittstellen zu verzichten. So könne ein Pilz eingeschlossen werden. „Der Selbstheilungsprozess versiegelt die Wunde innerhalb von zwei Stunden.“ Und weil auch Menschen mit einem grünen Daumen älter werden, rät er, Obstbäume regelmäßig zu bearbeiten. Wie genau, das entscheide die Antwort auf die Frage, ob die Pflanze „super aussehen oder schöne Früchte tragen“ soll.

VON MICHAEL PROCHNOW